BUCH ASCHE.

2010

von Claudia Doderer / Händl Klaus / Klaus Lang
Theater Bonn
Musikalische Einstudierung und Konzeption: Klaus Lang
Konzept, Inszenierung: Claudia Doderer, Klaus Lang
Libretto: Händl Klaus
Raum, Kostüme, Licht: Claudia Doderer
Uraufführung: 6. Juni 2010

BUCH ASCHE.
von Claudia Doderer / Händl Klaus / Klaus Lang

Das Verbrennen von Papier und die Verwandlung seiner Asche in Kirschblüten, mitten im chinesischen Winter, sind der Nabel von BUCH ASCHE., doch ist der Schnee in diesem Landstrich von Blut geschwärzt, denn der Kaiser lässt hunderte von Häftlingen hinrichten, während ihn der Flug von Kirschblüten erfreut. Die Frau, die auf einem kahlen Baum hockt und für diesen Blütenflug sorgt, indem sie Asche ausstreut, wird schließlich mit einem Ballen weißer Seide, in der Farbe der Trauer, belohnt und von ihrem Mann “wie eine Seidenraupe, die man auskochen könnte”, darin festgezurrt. Dieser Stoff rief nach Klaus Langs stechend fein mahlender Musik – seit sie königin ök hörte, weiß ich um den gemeinsamen Raum, sein klangliches Brennglas, und bin darüber froh. Dass ich mich im Fall von BUCH ASCHE. an exakt vorgegebene Taktzahlen halten musste, die wiederum chinesischen Schriftzeichen für die Reizworte der Handlung folgen, war eine einmalige Herausforderung. Dreizehn Bilder zerfallen nun zunächst in ihre Silben und deren kleinste Sinneinheiten – die schönsten Worte handeln selbst: von Grausamkeit, lauter Brüche hallen nach. Aus dem Zerfall setzen sich – wie im Pointillismus in der Malerei – Bild um Bild wiederum zusammen, da alles mit allem zusammenhängt.

Händl Klaus

Auszug aus dem Programmheft, Oper Bonn, 2010

 

Auszug aus dem Interview:
Individuum und Masse – Freiheit und Kontrolle
von Thomas Witzmann und Ilka Seifert mit Klaus Lang und Claudia Doderer

(…)

Klaus Lang: Es gibt keine Idealperspektive, dieses Stück zu hören. Es wird bei jeder Aufführung und für jeden Hörer bei jeder Aufführung anders sein.

Claudia Doderer: Also kein Denkmal im besten Sinne. Es geht darum, dass man am Abend ein Erlebnis hat, dass man kein Produkt konsumiert, sondern aktiviert wird, sich zu öffnen. Die Position der Sänger bekommt eine andere Bedeutung. Der Chor, der durch den ganzen Raum geführt wird, bekommt einen anderen Stellenwert. Wie in einer Installation hat man einen direkten Kontakt.

Thomas Witzmann: Das heißt, Sie verzichten auf die klassische Guckkastenbühne, Sie verzichten aber auf Grund dieser Situation auch auf den Dirigenten und gewinnen dadurch eine wirklich ganz eigene Plastizität in der Wahrnehmung des Abends?

KL: Es gibt bestimmte Freiheiten in der Ausführung des genau Komponierten und insofern ist es eben nicht notwendig, diesen Dirigenten in der Mitte zu haben, was andererseits aber auch bedeutet, dass jeder einzelne Ausführende einfach ein viel höheres Maß an Eigenverantwortung zu tragen hat. 

TW: Wir haben es mit drei Solisten zu tun und mit höchst differenziert aufgefächerten Orchester- und Chorstimmen. Ist das auch in der Geschichte selbst, die ja dem Stück zu Grunde liegt, begründet?

KL: Also es gibt eine Vielzahl von individuellen Musikern und Chorsängern, trotzdem wird der Klang durchaus orchestral sein. Mit dem Stück hat das insofern zu tun, als eben diese Thematik des Einzelnen und der Masse, aus der der Einzelne irgendwie entstammt, oder zu der er auch in einem bestimmten Verhältnis steht, auch ein zentrales Thema in dem Stück ist.

Ilka Seifert: In ihren Kompositionen bildet die Mikrostruktur die Makrostruktur ab (und umgekehrt), ein strenges Verfahren. Gleichzeitig aber gewähren Sie innerhalb fixierter Abstände Sängern und Instrumentalisten erhebliche Freiheiten …

KL: Freiheit ist ein schwieriger Begriff. Wesentlich ist, dass bestimmte Elemente, die traditionellerweise in der westlichen Musik ganz festgezurrt sind, z.B. das Metrum, einfach offen gelassen werden und durch die Abweichung Komplexität entsteht. In den 50er Jahren machte sich für die aleatorische Musik die Erkenntnis breit, dass die gewürfelten Stücke eigentlich so ähnlich klingen wie die seriellen. Ein Maximum an Kontrolle führt also zum gleichen Ergebnis wie die völlige Aufgabe von Kontrolle. Ich gebe einfach bestimmte Rahmen vor, und in den Rahmen sind dann Freiheiten, die dazu führen, dass die einzelnen klanglichen Ereignisse ein größtmögliches Ausmaß an Komplexität erreichen, wobei der einzelne Spieler eine ganz einfache Aufgabe zu bewältigen hat.

CD: Und die Wechselwirkung zwischen Material und System ist größer. Die Bewegungs- und die Lichtkomposition sind genauso streng notiert wie die musikalische Komposition.

KL: Das ist der wesentliche Punkt. Weil es so streng strukturiert ist, gibt es die Möglichkeit, dass die Ausführung diese Freiheit noch lässt. Es geht um die Balance von Freiheit und Kontrolle.

IS: Nochmal zum Anfang zurück: Ein altes chinesisches Märchen …

CD: Es war das Thema im Angesicht unserer Weltlage, es geht um Individuum und Masse, um die Unterdrückung von Menschen. Demokratie herrscht ja nur auf einem kleinen Fleckchen unserer Erde. Es ist wichtig, dass sich die bürgerlichen Institutionen öffnen, und auch junge Leute nicht nur mit bildungsbürgerlichen Stücken aus dem 19. Jahrhundert auffordern, kreativ im Kopf durch die Welt zu gehen. Wenn man sich nicht das China von damals anschaut, sondern die politische Unterdrückung im China von heute oder was gerade im Iran passiert … – diese Bezüge waren uns wichtig, um überhaupt im Heute, in einer zeitgenössischen Oper mit zeitgemäßen ästhetischen Mitteln anzukommen.

Auszug aus dem Programmheft, Oper Bonn, 2010

Ingo Dorfmüller
Klang-Licht-Raum
Claudia Doderer, Händl Klaus und Klaus Lang suchen bei bonnchance! nach der Zukunft des Musiktheaters

Eine chinesische Reisbäuerin träumt davon, eines Tages den Kaiser, der das Reich mit brutaler Gewalt beherrscht, öffentlich zu beschämen, indem sie ihn mit Asche überschüttet. Sie setzt, ungeachtet der Proteste ihres Mannes, diesen Traum in die Tat um. Das einzig brennbare Material, das sich in ihrem elenden Haushalt finden lässt, ist ein Buch. Sie besteigt einen Baum, den der von einem Massaker an der Bevölkerung heimkehrende Kaiser passieren muss. Doch der Anschlag misslingt, weil sich die Asche durch ein Wunder in Kirschblüten verwandelt, woraufhin der Kaiser sie nicht etwa bestraft, sondern mit einem weißen Seidenkleid beschenkt, das die Bäuerin wiederum als Zeichen der Trauer um die Gefallenen und Ermordeten tragen wird (Weiß ist in China die Farbe der Trauer): Das ist in etwa der Kern des Stücks, und er ist vieldeutig genug: Jun erhält unverhofften Lohn dafür, dass sie sich und ihrer Sache treu bleibt, doch um den Preis, dass die Verhältnisse, gegen die vorzugehen sie beabsichtigt, ganz im Gegenteil noch bestätigt werden. Und doch: Ihr Zeichen des Widerspruchs wird bleiben.

Einen solch sanft-beharrlichen Widerspruch – gegen Gewalt und Unrecht, aber auch gegen ihre konventionelle, ‘mimetische’ Darstellung – formuliert auch die Bonner Bühnenversion. Der Komponist Klaus Lang und die Bühnenkünstlerin Claudia Doderer haben ihre Konzeption der musikalischen ‘Installation’ (zuletzt in architektur des regens bei der Münchner Biennale 2008) geöffnet und eine narrative Dimension hinzugefügt, für die als Librettist der österreichische Dramatiker Händl Klaus verantwortlich zeichnet. Musik und Theater werden nicht als dynamische Zeitkunstformen begriffen, sondern statisch-räumlich gedacht. Der Handlungsentwurf mit seinen zahlreichen Stationen, den Vor- und Rückblenden in Traumvisionen, zieht sich auf elementare Zeichen zusammen, die in so extremer zeitlicher Dehnung präsentiert werden, dass sie nicht als Handlung, sondern als Metamorphose eines Zustandes erscheinen.

Musik und Szene greifen in den Raum aus: Die Bühne sendet einen langen, sich verjüngenden Steg bis zur Rangbrüstung aus, von wo sich über eine Treppe in extremer Zeitlupe der Auftritt des Kaisers auf hohen Kothurnen und mit einer meterlangen, (blut-)roten Schleppe vollzieht. Der Orchestergraben ist zugedeckt, die Instrumentalisten sind im ganzen Raum verteilt, ihr Spiel wird nicht von einem Dirigenten, sondern von den Signalen verschiedender Monitore koordiniert, die Klänge des Chors kommen vom Band und wandern um und durch den Raum. Die Musik selbst ist eine Art Klangband, das mit unendlich feinen, subtilen Veränderungen im Bereich von Harmonik und Farbe arbeitet, die ‘hierarchisierende’ zeitliche Strukturierung durch Melodie und Rhythmus aber strikt meidet. Wenngleich die Aufführung Anfang und Ende hat, ist es doch, als beträte man einen Klang-Licht-Raum, der sich seinerseits statisch-passiv verhält.

Text, Musik, Bühne und Aktion werden aus einem gemeinsamen Ideenkern entwickelt: So wird das Libretto nicht nur in Silben und Phoneme zerlegt, Händl Klaus musste den Text nach den Vorgaben der musikalischen Proportionen entwickeln. Der Begriff “Gesamtkunstwerk”, den Claudia Doderer auf diese Arbeit anwendet – hier scheint er einmal angemessen. Und doch wird der Schrecken der zugrunde liegenden Geschichte nicht etwa ästhetisiert: Es bleibt jederzeit dechiffrierbar. Dem Publikum wird kein Identifikationsangebot gemacht, seine Empathiefähigkeit wird nicht gefordert, es wird auch nicht propagandistisch manipuliert: Es begegnet der nackten Faktizität eines Zustandes und kann sich dazu verhalten. Das ist eine der Operngeschichte und der Tradition des europäischen Musiktheaters gänzlich konträre Konzeption – möglicherweise aber eben darum zukunftsfähig. (…)

Bruchloses Ineinandergreifen der vokalen und instrumentalen Klänge, live produziert oder (im Falle des Chors) vom Band in den Raum ‘projiziert’, die Koordination mit den Bewegungen der Sänger und Tänzer (Choreographie: Tomi Paasonen) und der exquisiten Lichtregie Claudia Doderers – alles gelang dicht und eindrucksvoll.

Auszug aus einer Kritik zu BUCH ASCHE. in: Opernwelt, 8, 2010

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