architektur des regens.

2008

Oper von Klaus Lang nach einem Text von Motokiyo Zeami
Kompositionsauftrag der Landeshauptstadt München zur 11. Münchner Biennale
Idee: Klaus Lang und Claudia Doderer
Musikalische Leitung: Mark Rohde
Inszenierung, Bühne und Kostüme: Claudia Doderer
Uraufführung: 18. April 2008, Gasteig, Carl-Orff-Saal, München

Habakuk Traber
Über architektur des regens.

architektur des regens. – der Titel bindet Gegensätze: “Künstliches – Natürliches, Amorphes – Gestaltetes, Vergängliches – Beständiges etc. Der Regen steht als Metapher für das Amorphe, das Ungreifbare im Gegensatz zum klar Geformten und geordnet Fassbaren, das mit dem Begriff der Architektur verbunden ist. Weite Teile von architektur des regens. können akustisch und visuell folgendermaßen beschrieben werden: Aus Flächen von Klang kristallieren sich Konturen in Form von Gesangslinien und Text, so wie Figuren aus den Räumen hervortreten und wieder mit ihnen verschmelzen. Die Bilder changieren zwischen den beiden Extremen der Graphik und der räumlichen Tiefe.” (Klaus Lang)

architektur des regens. beruht auf einem Stück aus dem japanischen No-Theater, der Gott von Shiga. Motokiyo Zeami (1363 – 1443) erzählt darin von einem Mann aus der Stadt, der bei einer Bergwanderung einen alten Holzfäller trifft und sich mit diesem über die Schönheit der Natur und über die Kunst der Naturbetrachtung unterhält. Der Mann aus der Stadt ist erstaunt über das Verständnis, das der einfache Mann in den Bergen diesen Themen entgegenbringt, denn ihre Erörterung kommt eigentlich der geistigen Elite zu. Wenig später erscheint ihm der Holzfäller erneut – im Traum, als die Gottheit von Shiga, der Poet Otomo Koronushi, eine der drei Gottheiten der Dichtkunst. Das Theaterstück enthält wenig Handlung im Sinne äußerer Aktion, sondern besteht vor allem aus Betrachtungen: Was sich ereignet, muss sich vor allem im Inneren der Person(en) zutragen, um zu wirken. “ist es nur ein Traum, oder ist es die wahre Natur des Holzfällers, die der Mann aus der Stadt erst zu sehen bekommt, nachdem er in der Begegnung mit dem Holzfäller seine Vorurteile überwinden lernte? Hat sich nicht der Mann aus der Stadt verwandelt, indem er im Holzfäller die Gottheit erkannte? Das Höchste ist im Niedrigsten nicht nur enthalten, es ist eigentlich dasselbe.” (Klaus Lang)

In Klaus Langs Kammeroper entsteht zwischen Holzfäller/Dichter und dem Mann aus der Stadt kein eigentlicher Dialog, nur einen Satz haben beide gemeinsam: “Die Rast im Schatten der Blüten”. Die Erscheinung des Holzfällers als Gottheit von Shiga, als der Poet Otomo Koronushi, findet ganz ohne Worte, als Tanz statt. Lang erarbeitete das Libretto für seine Kammeroper selbst. Die endgültige Fassung erhielt der Text erst nach Fertigstellung der Partitur. “Es ist für die japanische Vorlage typisch, dass die Sprache Bedeutungsfelder entwirft, und so wusste ich beim Komponieren oft genau, welchen Bedeutungsraum der Text an einer bestimmten Stelle durchläuft, welche Zeitverhältnisse ich wollte, aber ich hatte die Worte noch nicht. Ich schrieb den Text im Hinblick auf die Musik.” Lang versuchte dabei, so weit wie möglich die Denk-Eigenarten der japanischen Sprache zu wahren, ihren bildlichen Charakter, den weitgehenden Verzicht auf Verben, die Sprachform der Aktion, auch die Sparsamkeit in der Grammatik und in der Idiomatik.

Lang beschäftigte sich über viele Jahre mit japanischer Kultur, Geschichte und Sprache. Er lebte längere Zeit in Japan, besuchte dort Vorstellungen des No-Theaters und arbeitete sich in dessen Vorstellungswelt ein. Die intensive Auseinandersetzung beeinflusste sein Denken und sein Komponieren, sie sensibilisierte ihn aber zugleich gegen alles äußere Zur-Schau-Tragen von Kultur-Adaptionen. Man kann sich nicht in Jahren oder Jahrzehnten zu Eigen machen, was über viele Lebensalter gewachsen ist und sich den Menschen eingeprägt hat.

Deshalb werden in architektur des regens. keine japanischen Requisiten zu sehen und zu hören sein, keine Kimonos und keine Tuschezeichnungen, keine Tonskalen oder Gesangarten, die von europäischen Hörern als fernöstlich assoziiert werden, nichts Vordergründiges, was auf den japanischen Ursprung des Sujets hinweist. Wirksam werden jedoch geistige Konfigurationen, Formen des Denkens und der Darstellung von Gedanken. In seiner Kompositionsweise folgt Klaus Lang dem traditionellen japanischen Grundsatz, die Dinge zu lassen, wie sie sind. Er verlangt keine verfremdeten Spieltechniken, Sänger wie Instrumentalisten musizieren ohne Vibrato. Das verleiht dem Ganzen einen direkten, reinen, bisweilen fragilen Klang. Die Musik entsteht aus der Ruhe, aus dem einzelnen Ton, aus der Figur, gleichsam als Befragung des Klangraums. Sie durchmisst Phasen der Dichte und der langen Klangkontinuen, die sich mit Aggregaten des Textes verbinden. Den ‘Ton’ von architektur des regens. bestimmen ganz helle und dunkle, gedeckte Klangfarben, also Gegensätze, nicht Instanzen der Vermittlung.

architektur des regens. ist nach kirschblüten.ohr., fichten. und moon in the moonless sky. (two). die vierte gemeinsame Arbeit von Klaus Lang und Claudia Doderer. architektur des regens. entstand von Anfang an als integrales Konzept. Musik, Text, Bühne, Kostüm und Bewegung entwickelten die beiden Künstler in einem Prozess regelmäßiger Auseinandersetzung und Abstimmung. Raum und Klang, Licht, Farbe, Ton und Handeln der Protagonisten gewannen in steter Bezugnahme aufeinander ihre konkrete Gestalt. Dabei verfolgen beide das Konzept einer relativen Autonomie. “Am Anfang verständigen wir uns über das Projekt. Dann arbeiten wir parallel, jeder für sich in ziemlicher Autonomie; als Vorbild können wir vielleicht die Art nennen, wie John Cage und Merce Cunningham ihre Tanztheaterprojekte entstehen ließen. Selbstverständlich sprechen wir, wann immer einer dies für nötig hält, treffen uns in gewissen Zeitabständen, um uns den neusten Stand der Arbeit zu zeigen. Die Spannung, die in diesem Verfahren liegt, ist uns beiden wichtig. Sie schafft am Ende die Klarheit, die wir anstreben.” (Claudia Doderer)

Ästhetische Übereinstimmung besteht im Grundsätzlichen. Beide Künstler verfolgen eine Ästhetik der Konzentration. Jedes Detail ist wesentlich, es gibt keinen Unterschied zwischen Substanz und Ornament, alles ist Substanz. Langs Musik meidet alle Figurationen – das, was Musik herkömmlicherweise ‘schnell’ und ‘geläufig’ macht (Klaus Lang: “Es ist leichter, schnelles Passagenwerk zu komponieren, als eine langsame, ruhige Musik zu schreiben”). Claudia Doderers visuelles Konzept wiederum verzichtet auf jede Art von Dekor. Der Ärmel an einem Kleid ist so wichtig wie die Maße des Bühnenbaus. Klaus Langs Musik entsteht aus einer spezifischen Klangvorstellung, Claudia Doderers Bühnenkonzept aus einem Zusammenwirken ineinander gebauter Räume. Beide erreichen durch Beschränkung der Mittel eine Intensivierung der Wirkung. Die Bewegungen der Akteure auf und in der Bühne erscheinen oft größer, als sie in Wirklichkeit sind. Der Klang, den die fünf Sänger und acht Instrumentalisten erreichen, wirkt oft weiter als das, was man einem Ensemble dieser Stärke zutrauen würde. Klaus Lang und Claudia Doderer erzielen dies nicht durch das Prinzip der Kumulation, der Anhäufung und Multiplikation von Reizen, sondern durch Reduktion und Konzentration, die sie erzeugen und die sie vom Hörer und Zuschauer fordern.

Darüber hinaus wirken innere Übereinstimmungen, die in der Besonderheit dieses Projekts begründet liegen: Proportionen, die für die Zeitgestaltung in Klaus Langs Komposition wesentlich sind, erscheinen in Claudia Doderers Raumkonzept wieder. In architektur des regens. wirkt eine innere Gravitation, man mag sie im Ergebnis ‘Harmonie’ nennen. Sie entsteht aus den Gegensätzen, die in den Dingen sind.

 

Auszug aus dem Programmheft 11. Münchner Biennale 2008

Max Nyffeler
Auf dieser Insel ist weit und breit keine Rettung in Sicht
Bei der Münchner Musiktheater-Biennale setzen die ersten beiden Uraufführungen nicht
auf die Verständlichkeit des Textes, sondern auf mikrotonale Stimmungen und vokale Tupfer.

(…) Auch in der zweiten Uraufführung der Münchener Biennale, Klaus Langs architektur des regens., ist Textverständlichkeit ein rares Gut, doch im Unterschied zu Poppe ist sie hier auch gar nicht beabsichtigt. Der 1971 in Graz geborene Komponist und Organist, der schon mehrere Bühnenwerke schrieb und sich längere Zeit in Japan aufhielt, will, dass man sich ganz dem Klangerlebnis hingibt und nicht das begriffliche Textverständnis sucht. Der gesungene Text wird zur rein phonetischen Erscheinung destilliert, die Inhalte kann man im Programmheft nachlesen: kurze, enigmatische Verse, gewonnen aus dem Text von Motokiyo Zeami zu einem alten japanischen Nô-Theaterstück, in dem er den Gott der Dichtkunst zu erkennen glaubt.

Das traumähnliche Ineinander von Innen- und Außenwelt und die intuitive Form der Erkenntnis schlagen sich in der Werkstruktur nieder. Es wird keine Handlung erzählt, sondern eine konstante Bewusstseinsmetamorphose in Gang gesetzt, bei der Ich und Er, Zeit und Raum ineinander verfließen. Klaus Lang und die für die Inszenierung verantwortliche Claudia Doderer haben daraus eine musikalisch-szenische Bilderfolge von hohem Abstraktionsgrad und zugleich beträchtlicher Suggestivkraft entwickelt. Der Bühnenraum ist in monochromes Schwarzweiß mit allen dazwischen liegenden Graustufen getaucht. Eine raffinierte Beleuchtung sorgt für einige klare Zeichen und diffuse Lichtinseln im konturenlosen Bühnenraum, in dem sich die Figuren schemenhaft und im Zeitlupentempo bewegen. Ebenso konsequent reduziert ist die Musik. Die kammermusikalische Begleitung bevorzugt das vierfache Piano, die beiden Hauptfiguren singen in ätherischer Sopranlage ihre kargen Lyrismen, drei Bässe markieren mit einigen vokalen Tupfern den „Klang der Landschaft“.

Das alles ist stark vom japanischen Denken inspiriert und ist doch zutiefst europäisch empfunden. Die Aufmerksamkeit des Komponisten gilt weniger den Grenzlinien zwischen Klang und Stille als dem Klang selbst, und spätestens wenn sich die Klangzeichen zu harmonischen Gebilden erweitern und die Glöckchen bimmeln, sind wir wieder bei uns zu Hause angelangt. Die Exkursion ins puritanische Land der Stille hat aber jedenfalls die Sinne geschärft.

 

Auszug aus der Kritik in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, 21. April 2008

 

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